Sendet ein Personaldienstleister einem Unternehmen auf eine Stellenanzeige hin ein anonymisiertes Bewerberprofil per E-Mail zu, der zusätzliches Infomaterial zu den Dienstleistungen des Personaldienstleisters beigefügt ist, so liegt darin eine Verletzung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Eine Stellenanzeige eines Unternehmens stellt keine »Einladung« dar, Werbung eines Personaldienstleisters per E-Mail zu erhalten.
Wir waren an dem Verfahren als Kläger beteiligt.
Streitwert: 1.500,00 €
Amtsgericht Düsseldorf
Urteil vom 16. Oktober 2020, 55 C 341/19
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen, an die E-Mail-Adressen des Klägers unter der Domain "@stroemer.de" ohne dessen Zustimmung E-Mails zu versenden, in denen für Dienstleistungen als Arbeitsvermittlerin geworben wird.
Der Beklagten wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungsverpflichtung ein Ordnungsgeld bis zur Höhe von 250.000 EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten - bei mehrfacher Zuwiderhandlung von bis zu zwei Jahren - angedroht, wobei die Ordnungshaft an den jeweiligen Geschäftsführern der Beklagten zu vollziehen ist.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 1.800,00 €.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Unterlassung von E-Mail-Kontakten zu Werbezwecken durch die Beklagte ohne die Einwilligung des Klägers.
Der Kläger ist Inhaber einer Rechtsanwaltskanzlei, der Internet-Domain „stroemer.de" und des E-Mai-Accounts
Der Kläger hatte beim Jobcenter Düsseldorf der Agentur für Arbeit ein Stellengesuch in die online abrufbare Datenbank für die Stelle eines/einer Rechtsanwaltsfachangestellten einstellen lassen. Am 05.08.2019 und am 08.08.2019 versandte die Beklagte an den Kläger an dessen geschäftlich genutzte E-Mail Adresse
Mit Schreiben vom 09.08.2019 bot der Kläger der Beklagten an, die Wiederholungsgefahr durch die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auszuräumen. Die Beklagte übersandte sodann mit Schreiben vom 13.08.2019 eine Unterlassungserklärung, in der die Beklagte sich vorbehielt, den Kläger weiterhin ungefragt anzuschreiben, wenn dieser sie dazu etwas durch veröffentlichte Stellenanzeigen -„einlade".
Der Kläger vertritt die Auffassung, dass es sich bei den E-Mails der Beklagten um unerlaubte Werbemaßnahmen handele. Daran würden auch die zwei beigefügten anonymisierten Profile nichts ändern. Der Kläger bestreitet insoweit mit Nichtwissen, dass es sich um Personen handelt, die tatsächlich eine Anstellung in einer Rechtsanwaltskanzlei suchen. Er ist ferner der Ansicht, dass die abgegebene Unterlassungserklärung nicht weitreichend genug sei, da sie das monierte Verhalten, das Zusenden von Werbe-EMails auf veröffentlichte Stellenanzeigen, gerade nicht erfasse und lediglich eine „schriftliche" Kontaktaufnahme unterlassen werden solle.
Der Kläger beantragt,
es der Beklagten zu untersagen,
an E-Mail-Adressen des Klägers unter der Domain „@stroemer.de" ohne dessen Zustimmung E-Mails zu versenden, in denen für Dienstleistungen als Arbeitsvermittlerin geworben wird;
der Beklagten für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen dieses gerichtliche Verbot als Zwangsvollstreckungsmaßnahme ein Ordnungsgeld bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten - bei mehrfacher Zuwiderhandlung bis zu zwei Jahren - zu vollstrecken an ihrem jeweiligen Geschäftsführer, anzudrohen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Ansicht, dass die versandten E-Mails keine unlauteren Werbemaßnahmen darstellten. Vielmehr seien dem Kläger auf seine Annonce hin passende Kandidatenprofile übersandt worden. Es sei gerade nicht anlasslos Werbung für ihre Dienstleistungen verschickt worden. Eine Unterlassung könne in diesem Fall nicht verlangt werden. Im Übrigen gehe die von ihr, der Beklagten, ohne Anerkennung einer Rechtspflicht übersandte Unterlassungserklärung über die Anforderungen des Klägers hinaus, indem sie neben einer Kontaktaufnahme per E-Mail auch eine schriftliche erfasse. Außerdem handele der Kläger sittenwidrig, wenn er durch unzulässige Abmahntätigkeit versuche, Gebühren einzunehmen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
I.
Dem Kläger kann nicht sein Rechtsschutzbedürfnis unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs abgesprochen werden. Ein derartiger, das Rechtsschutzinteresse ausschließender Rechtsmissbrauch wird angenommen, wenn die Gerierung von Zahlungsansprüchen das alleinige Leitmotiv der Klageerhebung ist. Soweit die Beklagte die Auffassung vertritt, der Kläger handele sittenwidrig, wenn er durch unzulässige Abmahntätigkeit versuche, Gebühren einzunehmen, ist ihr entgegenzuhalten, dass der Kläger bislang keine Gebühren gegenüber der Beklagten geltend gemacht hat. Der Beklagtenvortrag reicht danach nicht aus, um von einer rechtsmissbräuchlichen Motivation des Klägers auszugehen.
II.
Die Klage ist auch begründet. Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Unterlassung der Zusendung ungebetener Werbung an seine E-Mail-Adresse
1 . Der Unterlassungsanspruch ergibt sich aus §§ 1004 Abs. 1 S. 2, 823 Abs. 1 BGB analog. Es handelt sich um einen sog. quasi-negatorischen Unterlassungsanspruch, der für Rechte und Rechtsgüter, die durch § 823 Abs. 1 BGB geschützt werden, analog angewendet werden kann. Zwar ist dieser Anspruch subsidiär zu spezialgesetzlichen Unterlassungsansprüchen, jedoch kommt vorliegend ein Anspruch aus dem ansonsten spezielleren §§ 8 Abs. 1 , 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG nicht in Betracht, weil die Parteien in keinem konkreten Wettbewerbsverhältnis i.S.v. § 2 Nr. 3 UWG stehen (vgl. auch LG Münster, Urt. vgl. 14.01 .2015 - 21 0 102/14, juris Rn. 53).
Durch Zusendung der E-Mails vom 05.08.2019 und am 08.08.2019 an den Kläger hat die Beklagte in den durch § 823 Abs. 1 BGB geschützten eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb des Klägers rechtswidrig eingegriffen. Bei der Rechtsanwaltskanzlei des Klägers handelt es sich um einen eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb ist ein nach § 823 Abs. 1 BGB geschütztes sonstiges Recht und schützt alles das, was den Gewerbebetrieb zur Betätigung in der Wirtschaft befähigt, auch im Bereich der freien Berufe (BGH, NJW 1959, 479, 480; BGH, NJW 2012, 2579, 2580).
Nach der Rechtsprechung des BGH liegt ein rechtswidriger Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb schon bei einmaliger Zusendung einer Werbe-E-Mail unter Nichtkonkurrenten vor, wenn diese ohne vorherige Einwilligung des Adressaten erfolgt (vgl. BGH, Beschluss vom 20.05.2009 - I ZR 218/07, NJW 2009, 2058, 2959). Denn nach der zutreffenden höchstrichterlichen Rechtsprechung beeinträchtigt unverlangt zugesandte E-Mail-Werbung regelmäßig den Betriebsablauf des Unternehmens, da mit dem Sichten und Aussortieren unerbetener E-Mails ein zusätzlicher, wenn auch nur geringer Arbeitsaufwand verbunden ist (vgl. BGH, aaO).
Es handelt sich bei den beiden streitgegenständlichen E-Mails entgegen der Auffassung der Beklagten auch um Werbe-E-Mails. Der Begriff der Werbung umfasst alle Maßnahmen eines Unternehmens, die auf die Förderung des Absatzes seiner Produkte oder Dienstleistungen gerichtet sind (so auch AG Bonn, MMR 2018, 123). Nach der Rechtsprechung des BGH und in Übereinstimmung mit Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2006/114/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über irreführende und vergleichende Werbung (Abl. EU L 376 S. 21) ist Werbung daher jede Äußerung bei der Ausübung eines Handels, Gewerbes, Handwerks oder freien Berufs mit dem Ziel, den Absatz von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen zu fördern (BGH, aaO). Direktwerbung ist gegeben, wenn der Werbende einen unmittelbaren Kontakt zu einem bestimmten Adressaten herstellt, sei es durch persönliche Ansprache, Briefsendungen oder durch Einsatz von Telekommunikationsmitteln wie Telefon, Telefax oder E-Mail (BGH, NJW 2016, 870, juris Rn. 16). Die Übersendung von sieben Seiten Anpreisungen über die Dienstleistungen des eigenen Unternehmens fällt unter diese Definition, da sie der Absatzförderung ihrer Dienstleistungen dienen kann und soll. Die Beklagte betreibt durch eine derartige Darstellung ihrer Dienstleistungen mindestens mittelbare Absatzförderung, um die Chance für zukünftige Absätze zu erhöhen. An dieser Bewertung ändert auch der Vortrag der Beklagten nichts, die E-Mails hätten lediglich die Annonce des Klägers beim Jobcenter bedient, indem ihm zwei Profile von Rechtsanwaltsfachangestellten übersandt worden seien. Dem ist entgegenzuhalten, dass es insoweit nicht der Beifügung des Werbematerials bedurft hätte, welches vom Umfang her mit sieben Seiten deutlich das Anschreiben inkl. der anonymisierten Lebensläufe, 3 1/2 Seiten, überschritten hat und sogar sachfremde Werbung für Metallprofile enthielt.
Die E-Mail-Werbung erfolgte auch ohne vorherige Einwilligung des Klägers. Insbesondere ist die Stellenanzeige mit der Aufforderung, Bewerbungen zu übersenden, nicht geeignet, die E-Mail-Werbung zu legitimieren. Denn - wie bereits ausgeführt - legitimierte die Übersendung von Bewerberprofilen - selbst wenn diese als „echt" unterstellt werden - nicht die Übersendung zusätzlicher Werbung. Eine entsprechende Einwilligung in die Übersendung von Werbemaßnahmen kann der Stellenanzeige weder ausdrücklich noch konkludent entnommen werden.
Der Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb des Klägers war rechtswidrig. Nach unionsrechtskonformer Auslegung von §§ 823 Abs. 1 , 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB aufgrund von Art. 13 Abs. 1 der Datenschutzrichtlinie und unter Berücksichtigung des Erwägungsgrunds 40 ist die Rechtswidrigkeit des Eingriffs entgegen der grundsätzlichen Abwägungsentscheidung indiziert (so auch AG Bonn, MMR 2018, 123). Die Beklagte hat auch keine Tatsachen vorgebracht, die ausnahmsweise eine Rechtswidrigkeit verneinen ließen. Aber auch eine sonst erforderliche Abwägung der widerstreitenden Interessen der Parteien geht zu Lasten der Beklagten aus. Wegen der Eigenart des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs als Rahmenrecht liegt seine Reichweite nicht absolut fest, sondern muss erst durch eine Abwägung der widerstreitenden Interessen der Parteien bestimmt werden, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalls sowie die betroffenen Grundrechte interpretationsleitend zu berücksichtigen sind (BGH, NJW 2017, 2119, juris Rn. 28). Der Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt (BGH, WRP 2017, 806; BGH, NJW 2017, 1550, juris Rn. 15). Das Interesse des Klägers an seinem eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb überwiegt das Interesse der Beklagten, dem Kläger Werbung mit elektronischer Post ohne sein Einverständnis zuzuleiten. Nach der Rechtsprechung des BGH gilt hier, dass der Schutz der geschäftlichen Sphäre, insbesondere die Ungestörtheit der Betriebsabläufe, vorrangig gegenüber dem wirtschaftlichen Gewinnstreben von anderen Unternehmen oder Gewerbetreibenden ist und dass die berechtigten Interessen der gewerblichen Wirtschaft, ihre Produkte werbemäßig anzupreisen, es angesichts der Vielfalt der Werbemethoden nicht erfordern, mit der Werbung in die internen Betriebsabläufe einzudringen (vgl. BGH, GRUR 20, 818, 819 zu Telefonwerbung; BGH, NJW 2017, 2119, juris Rn. 28 zu E-Mail-Werbung). Als Rechtsanwalt muss der Kläger alle seine E-Mails sorgfältig lesen, so dass die Übersendung der Werbebotschaften über mehrere Din A4 Seiten ihn in seiner Arbeitsausübung beeinträchtigt hat.
2. Die für den Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr wird durch das festgestellte rechtsverletzende Verhalten der Beklagten indiziert (BGH, NJW 2016, 870, juris Rn. 23; BGH, GRUR 2013, 1259, juris Rn. 25). Die dem Kläger mit Schriftsatz vom 13.08.2019 übersandte Unterlassungserklärung kann die Wiederholungsgefahr nicht ausräumen. Denn diese erfasst das zu unterlassende Verhalten nicht hinreichend. So behält sich die Beklagte weiterhin vor, den Kläger auf Stellenanzeigen hin zu kontaktieren und sieht diese als „Einladung" hierfür an. Dabei schränkt sie diesen Kontakt auch nicht dahingehend ein, in derartigen Schreiben nicht für ihre Dienstleistungen als Arbeitsvermittlerin oder andere Dienstleistungen ihres Unternehmens zu werben. Des Weiteren weist der Kläger zutreffend darauf hin, dass die Unterlassungserklärung auf das Unterlassen einer schriftlichen Kontaktaufnahme beschränkt ist und die streitgegenständliche Zusendung von Werbe-E-Mails gerade nicht erfasst.
3. Der Unterlassungsanspruch scheidet auch nicht wegen Rechtsmissbrauchs aus. Jede Rechtsausübung unterliegt dem aus dem Grundsatz von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB abgeleiteten Missbrauchsverbot (BGHZ 172, 218; BGHZ 149, 311, 323). Ein Missbrauch liegt vor, wenn der Anspruchsberechtigte mit der Geltendmachung des Anspruchs überwiegend sachfremde, für sich gesehen nicht schutzwürdige Interessen und Ziele verfolgt und diese als das eigentlich beherrschende Motiv der Verfahrensführung erscheinen (LG Hamburg, IPRB 2017, 104; Palandt, 76. Aufl. § 242 Rn. 50). Eine Rechtsausübung ist nicht schon dann missbräuchlich, wenn sie dem anderen Teil lästig ist, sondern erst dann, wenn sie beachtliche Interessen eines anderen verletzt, ihr aber kein schutzwürdiges Eigeninteresse zugrunde liegt (BGHZ 29, 113, 117 f; 58, 146, 147 f; BGH, NJW 1994, 1351 , juris Rn. 18; Palandt, 76. Aufl., § 242 Rdn. 50). Die Beklagte hat nach Auffassung des Gerichts nicht darlegen können, dass der Kläger bei der Verfolgung seines Anspruchs kein schutzwürdiges Eigeninteresse verfolgt. Denn bei einem wie hier nicht systematischen, sondern nur einmaligen Abmahnverhalten bedarf es für einen Rechtsmissbrauch noch weiterer Hinweise auf das Vorliegen sachfremder Motive (BGH, WRP 2012, 930, juris Rn. 33). Darüber hinaus hat der Kläger — wie bereits vorstehend ausgeführt — keine Gebühren gegenüber der Beklagten geltend gemacht hat. Insofern kann auf obige Ausführungen Bezug genommen werden.
4. Ob der Unterlassungsanspruch aus einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 BGB analog, des § 4 Abs. 1 BDSG und § 7 BDSG iVm § 1004 Abs. 1 BGB folgt, kann vor dem Hintergrund des bereits einschlägigen Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb dahinstehen.
5. Der rechtswidrige Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb führt in der Rechtsfolge zu einem Anspruch auf Unterlassen weiterer E-Mail-Werbung unter Androhung von Ordnungsgeld und -haft gemäß § 890 Abs. 2 ZPO. Die Androhung kann bereits mit dem Urteil verbunden werden.
III.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1 S.1 , § 709 ZPO.
Streitwert: Bis 1.500,00 EUR.