Tobias H. Strömer / April 2002
Neue rechtliche Probleme werfen so genannte Autodialer auf. Dabei handelt es sich um kleine Programme, die von Internet-Anbietern über die Telefonleitung unbemerkt auf der Festplatte des Internetnutzers installiert werden und anschließend jede weitere Einwahl ins Internet nicht über die standardmäßig eingestellte Verbindung, sondern über eine teure 0190er-Mehrwertrufnummer herstellen. Der Internet-Nutzer erfährt von seinem Glück erst mit der Zusendung der Telefonrechnung, auf der dann plötzlich hohe Beträge für Verbindungen ausgewiesen sind, die er jedenfalls bewusst gar nicht aufgebaut hat.
Eine Nummer - Mehrere Verträge
Die 0190-Sondernummern betreffen Telefon- oder Sprachmehrwertdienste, die auch »Premium Rate«-Dienste genannt werden. Bei der Inanspruchnahme dieser Dienste sind sowohl nach der Definition der Regulierungsbehörde als auch nach den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Deutschen Telekom AG Service 0190 mindestens zwei unterschiedliche Vertrags- und Rechtsverhältnisse zu unterscheiden: die die technische Seite des Vorgangs betreffende und im Rahmen des Telefondienstvertrags zu erbringende Dienstleistung des Telekommunikations-unternehmens nach § 3 Nr. 16, 19 TKG (Teilnehmernetzbetreiber) und die die inhaltliche Seite des Vorgangs betreffende weitere Dienstleistung des Mehrwertdiensteanbieters. Das kann ein Telefonsex-Gespräch oder eine anwaltliche Beratung sein, aber auch die Einwahl ins Internet zum Aufruf bestimmter Seiten mit meist pornografischem Inhalt. Bei dieser weiteren Dienstleistung handelt es sich um einen Teledienst im Sinne des Teledienstegesetzes.
Der Teilnehmernetzbetreiber, der den Telefonanschluss anbietet (Festnetzanbieter oder Mobilfunkanbieter), stellt seinen Kunden im Rahmen des Telefondienstvertrags den physischen Zugang zum Telefonnetz zur Verfügung und überlässt ihnen eine bestimmte Rufnummer zur Nutzung. Er hat sich damit verpflichtet, dem Telefonkunden den Zugang zu seinem Netz zu eröffnen und somit unter Aufbau abgehender und Entgegennahme ankommender Telefonverbindungen mit beliebigen dritten Teilnehmern eines Fest- oder Mobilfunknetzes Sprache oder Daten auszutauschen. Der Telefondienstvertrag ist ein Dauerschuldverhältnis, ein Rahmenvertrag, in dessen Rahmen bei jeder Anwahl einer Rufnummer ein neuer Vertrag zustande kommt. Der Kunde schuldet seinem Vertragspartner die Zahlung der auf die Verbindung entfallenden Gebühren nach Maßgabe der in den Telefondienstvertrag einbezogenen Preisliste.
Der Netzbetreiber, an dessen Netz die Mehrwertdiensteplattform angeschlossen ist, kann vom Teilnehmernetzbetreiber unterschiedlich sein. Das ist etwa dann der Fall, wenn der Kunde bei der Anwahl im Rahmen des Call-by-Call die Netzkennzahl eines anderen Netzbetreibers voranstellt. Auch der Anbieter des Mehrwertdienstes ist in aller Regel nicht mit dem Teilnehmernetzbetreiber identisch. Die Gebühren solcher Anbieter werden nach § 15 TKV in der Telefonrechnung des Teilnehmernetzbetreibers (Rechnungsersteller) ausgewiesen und von diesem eingezogen. In der Rechnung sind dabei die Netzbetreiber und Anbieter und zumindest die Gesamthöhe der auf sie entfallenden Entgelte auszuweisen.
Bei der Anwahl von 0190-Sondernummern werden dem Anschlussinhaber deutlich höhere Preise als bei sonstigen Gesprächen von gleicher Dauer in Rechnung gestellt. Das beruht darauf, dass in diesen Entgelten nicht nur die - wertneutralen - Verbindungspreise, sondern auch die Vergütung des Mehrwertdienste-Anbieters enthalten sind Das bei der Inanspruchnahme von Mehrwertdiensten zu zahlende Entgelt richtet sich grundsätzlich nach der angewählten »Untergasse« (etwa: 01904: 6 Cent pro angefangener Zeiteinheit von 9 Sekunden, 01908: 6 Cent pro angefangener Zeiteinheit von 2 Sekunden). Die jeweilige, in den Preislisten der Netzbetreiber kenntlich gemachte Preisklasse hängt nicht davon ab, welche Art von Diensten nachgefragt wird.
Vertragsschluss bei 1090er-Nummern
Der Vertrag über die Erbringung der Mehrwert-Dienstleistung soll durch das schlüssige Vertragsangebot des Anrufers durch die Wahl der 1090er-Rufnummer und die schlüssige Annahme des Anbieters durch Durchführung des gewünschten Gesprächs zustande kommen. Gleichzeitig kommt auf gleiche Weise auch der Vertrag mit dem Teilnehmernetzbetreiber im Rahmen des Telefondienstvertrags zustande. Richtig daran ist, dass Verträge natürlich auch dann zustande kommen, wenn die Parteien durch ihr Verhalten zum Ausdruck bringen, dass sie sich vertraglich binden wollen. Fraglich ist aber, ob schon die Anwahl einer bestimmten Rufnummer einen solchen Vertragsbindungswillen beim Anrufer wirklich erkennen lässt. Häufig sind Anrufer gar nicht darüber informiert, welche Gebühren anfallen. Wer weiß schon, welche Gebühren die Wahl einer Nummer auslöst, die mit 0190-4 beginnt?
Sonderfall 0190-0
Noch deutlicher wird das dann, wenn für die Rufnummer - ganz offensichtlich zur Täuschung - auch noch verdeckt geworben wird, indem etwa die Vorwahl eines Netzbetreibers vorgestellt wird (etwa in der Form 0103 301 900 66 66 66). Immer häufiger wird davon berichtet, dass Teilnehmer an Chat-Foren von unbekannten Gesprächspartnern gebeten werden, eine solche Nummer zu wählen, um das an der Tastatur begonnene Gespräch am Telefon fortzusetzen. Wählt der Angesprochene dann die Nummer, hört er sogar nach einem kurzen Klicken häufig nur ein Besetztzeichen, versucht es wiederholt und merkt gar nicht, dass bei seinen Anwahlversuchen jedes Mal ein Betrag von 20 oder 30 € anfällt. Gerade bei Nummern, die mit 0190-0 beginnen, ist es nämlich völlig egal, wie lange die Verbindung besteht. Eine Preisobergrenze besteht für 01900-Rufnummern nicht. Es gibt weder spezielle gesetzliche Regelungen, noch eine diesbezügliche Vorgabe der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (RegTP). Auch der Freiwillige Selbstkontrolle Telefonmehrwertdienste e.V. (FST) lehnt die Festlegung einer Obergrenze ab. Die Verbraucher sind nach Auffassung des FST e.V. ausreichend geschützt, soweit gewährleistet ist, dass die angebotene Leistung hinreichend bestimmt, der Tarif transparent und unmissverständlich ausgezeichnet ist und eine zusätzliche Tarifbestätigung ab einer bestimmten Höhe erfolgen muss. Übersehen wird dabei, dass angesichts der Vielzahl verschiedener Service-Nummern vielen Telefonteilnehmern gar nicht bewusst ist, dass 0190er-Nummern überhaupt Gebühren auslösen.
Eine rechtlich verbindliche Willenserklärung kann daher nur dann vorliegen, wenn der Anrufer zuvor deutlich über die anfallenden Verbindungsgebühren aufgeklärt wurde. Der Netzbetreiber, in dessen Netz der Mehrwertdienst realisiert ist trägt zwar nach Abschnitt B I 1 a des Verhaltenskodex des FST die Verantwortung dafür, dass vor Beginn der Entgeltpflichtigkeit für den Anrufer der Tarif mitgeteilt wird, der vom Anrufer aus nationalen öffentlichen Festnetzen zu zahlen ist und dass der mitgeteilte Tarif mit dem abgerechneten Tarif übereinstimmt. Die Aufgabe kann er auch an den Diensteanbieter delegieren. Das Dumme ist nur, dass sich natürlich gerade die schwarzen Schafe an diese Vorgabe nicht halten. Während bei Sondernummern in den Untergassen 1 bis 9 eine Information über die anfallenden Gebühren wenigstens noch aus der allgemein zugänglichen Tarifübersicht der RegTP möglich ist, scheidet diese Möglichkeit bei den frei tarifierbaren Nummer, die mit 0190-0 beginnen gänzlich aus. Die Beweislast, dass der Anrufer vor Beginn des kostenpflichtigen Anrufs über die Gebühren aufgeklärt wurde, trägt daher der Anbieter. Wie er dieser Verpflichtung nachkommt, ist seine Sache.
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
Nun ist es allerdings leider so, dass der Bundesgerichtshof entschieden hat, dass der Teilnehmernetzbetreiber, der mit dem Anschlussinhaber bei Einrichtung des Anschlusses einen Telefondienstvertrag geschlossen hat, Anspruch auf die Zahlung der bei einer 0190er-Verbindung anfallenden Gebühren hat, auch wenn ein Anspruch des Mehrwertdienste-Anbieters, etwa wegen Sittenwidrigkeit der angebotenen Mehrwertleistung (Telefonsex), nicht besteht. Begründet hat er seine Ansicht damit, dass die Leistung des Telefondienstanbieters wertneutral sei und daher von der Unwirksamkeit des Vertrags zwischen Dienstanbieter und Telefonkunde nicht erfasst werde. Schlimmer noch: Auch die für die (angebliche) Erbringung des Mehrwertdienstes geschuldeten Anteile dürfen mit der Telefonrechnung eingezogen und an den Diensteanbieter abgeführt werden. Der Bundesgerichtshof hat am Ende seiner Grundsatzentscheidung zwar angedeutet, dass die Rechtslage unter Umständen bei den hier angesprochenen Autodialer-Fällen anders zu behandeln sei. Gleichwohl ist zu befürchten, dass die Instanzgerichte auch hier dem Teilnehmernetzbetreiber Recht geben. In der Praxis bedeutet das für den Internetteilnehmer, auf dessen PC sich ein Autodialer festgesetzt hat, dass er die Gebühren an die Telekom AG - oder einen anderen Teilnehmernetzbetreiber - zu zahlen hat und dann selbst zusehen darf, wie er wieder an sein Geld kommt. Kulanz zeigt die Telekom AG erfahrungsgemäß nur bei Verbindungen, die über eine 01900-Rufnummer aufgebaut wurden, offensichtlich deshalb, weil hier die Konstruktion eines wirksamen Vertragsverhältnisses wegen der frei bestimmbaren Gebühren schwierig ist.
Telekom ist der falsche Ansprechpartner
Ein Rückzahlungsanspruch besteht natürlich, wenn ein Vertrag mit dem Diensteanbieter gar nicht zustande gekommen war, etwa weil sich ein Autodialer ohne Rückfrage auf der Festplatte breit gemacht hat. Zudem ist das Bestücken fremder Computer natürlich auch strafrechtlich unzulässig und stellt zumindest eine unertaubte Datenveränderung im Sinne des § 303 a StGB dar. Richtiger Ansprechpartner ist in solchen Fällen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in erster Linie derjenige, der den Autodialer verbreitet hat. Der Internetteilnehmer steht damit vor einer doppelten Schwierigkeit: Zum einen muss er ermitteln, an wen das Entgelt für die Mehrwertleistung abgeführt wurde, zum anderen muss er beweisen, dass er keine kostenpflichtigen Leistungen abgerufen hat, etwa Internet-Seiten mit erotischen Inhalten, sondern ohne sein Wissen ein Autodialer installiert wurde.
Die Aufgabe wird dadurch erschwert, dass die Betreiber der Rufnummernblöcke, deren Identität sich problemlos aus der Telefonrechnung ersehen lässt, 0190er-Nummern typischerweise weitervermieten und die Nummern dann mehrfach wieder untervermietet werden. Es bleibt dem geprellten Kunden daher nichts anderes übrig, als sich mühsam danach zu erkundigen, an wen letztendlich sein Geld zu Unrecht abgeführt wurde. Das kann er, indem er die Vermieter der Nummern der Reihe nach anschreibt in der - häufig begründeten - Hoffnung, dass diese selbst ein Interesse daran haben, schwarze Schafe ausfindig zu machen. Ob der Netzbetreiber und jeder weitere Vermieter verpflichtet ist, Auskunft über den Mieter zu erteilen, erscheint allerdings fraglich. Die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (RegTP) sieht den Vermieter sogar aus datenschutzrechtlichen Gründen an einer Auskunftserteilung gehindert, falls der Mieter nicht juristische, sondern natürliche Person ist. Helfen können hier auch die Erfahrungen anderer Geschädigter, die in Internet-Foren von ihren Problemen berichten. Ist der Betrüger dann ermittelt, sollte überprüft werden, ob beim Aufruf seiner Website immer noch Autodialer installiert werden. Ist das der Fall, sollte der Vorgang beweisverwertbar, also etwa mit Zeugen, dokumentiert und festgehalten werden, um später den Richter überzeugen zu können. Auch ein Hinweis auf Beschwerden anderer Betroffener kann sicher nicht schaden. Erst im letzten Schritt sollte der Autodialer-Verwender dann aufgefordert werden, seiner Rückzahlungsverpflichtung unverzüglich nachzukommen. Schützenhilfe können dabei auch Verbraucherschutzverbände, der FST e.V. und die Staatsanwaltschaft leisten.
Ungünstige Beweislage
Sofern ein Autodialer unbemerkt eine Verbindung zu einer 0190er-Nummer aufgebaut hat - und genau das tun Autodialer ja regelmäßig - besitzt aber auch der Teilnehmernetzbetreiber keine Zahlungsansprüche. Anders als in den von den Gerichten bislang entschiedenen Telefonsex-Fällen weiß der Anschlussinhaber hier ja gar nichts von der Anwahl einer solchen Nummer und hat daher auch keine verbindliche Willenserklärung abgegeben, die zum Vertragsschluss führen könnte. Hier sollte der Anschlussinhaber seine Einwendungen innerhalb von acht Wochen nach Rechnungserhalt gegenüber dem Rechnungsersteller - häufig ist das heute noch die Telekom AG - geltend machen. Problematisch ist nur, dass der Anscheinsbeweis, also die Lebenserfahrung, dafür spricht, dass die Verbindung bewusst aufgebaut wurde. Es geht daher darum, so rasch wie möglich beweiskräftig - etwa durch Hinzuziehung von Zeugen oder Sachverständigen - festzuhalten, dass sich ein Autodialer auf der Festplatte eingenistet hat.
Wer von vornherein verhindern möchte, dass über den eigenen Telefonanschluss überhaupt Verbindungen zu 0190er-Rufnummern aufgebaut werden können, kann die Anwahl solcher Rufnummern durch seinen Netzbetreiber nach § 13 Abs. 4 TKG generell sperren lassen. Zudem werden im Internet Programme zum Download angeboten, die melden, sobald eine Software versucht, eine 0190er-Rufnummer anzuwählen.