Moderne Pranger im Internet

Tobias H. Strömer / November 1999

Juristen werden nicht müde, Anbietern und Nutzern im Internet immer wieder eindringlich klarzumachen, dass das Internet kein rechtsfreier Raum ist. So recht glauben mag uns Juristen das aber kaum jemand. Anders ist es nicht zu erklären, dass Mandanten immer wieder darauf hinweisen, so richtig geregelt sei das im Internet ja alles noch gar nicht.

Auf dieser offensichtlich falschen Vorstellung dürfte es auch beruhen, dass das weltweite Netz neuerdings auch als Plattform für das ungenierte Beschimpfen von Zeitgenossen herhalten muss. Das allein erstaunt weniger als die Tatsache, dass auch deutsche Anbieter - offensichtlich ohne jedes Unrechtsbewusstsein - beleidigende Beiträge veröffentlichen und versuchen, die Attraktivität ihrer Seiten über Werbebanner in klingende Münze umzuwandeln.

Die Idee, die solchen modernen Prangern zu Grunde liegt ist einfach: Wer immer sich über einen Mitbürger geärgert hat, neigt dazu, seinem Ärger Luft zu machen und was bietet sich da besser an, als das weltweite Forum, das das Internet bietet. Wer (angeblich) seinen Mitmenschen Böses zugefügt hat, muss fortan dulden, dass sein Verhalten in aller Öffentlichkeit angeprangert wird.

Die Klagen lassen dabei - wie sollte es auch anders sein - regelmäßig jede Objektivität vermissen. Teilweise unter voller Namens- und Adressnennung, teilweise unzulänglich kaschiert, gehen die Angriffe häufig unter die Gürtellinie. Die Rede ist dann von »der kleinen braunen Schlampe«, die den Autor des Beitrags sitzengelassen hat oder von dem »Drecksack von Nachbarn«, der es auch noch gewagt hat, (erfolgreich) seine Rechte einzuklagen. Nachbarn werden ebenso beschimpft wie Kollegen, Ex-Freunde, Anwälte oder Mitarbeiter von Behörden. Der Anbieter solcher Foren ergänzt die Beiträge hier und da dann noch durch hämische Hinweise. Die Betroffenen selbst ahnen meist gar nichts von ihrer Bloßstellung im Internet und erfahren erst nach Wochen und Monaten davon, dass sich ganz Deutschland über sie amüsiert.

Um es vorweg zu nehmen: Solche Angriffe gegen die eigene Person muss sich selbstverständlich niemand gefallen lassen. Erlaubt sind solche Seiten ausschließlich dann, wenn jede Individualisierung eines Betroffenen völlig ausgeschlossen ist. Dazu reicht es nicht aus, dass Vor- oder Nachnamen abgekürzt werden, wenn aus dem übrigen Sachzusammenhang eine Identifizierung ohne weiteres möglich ist. Gibt es etwa in Hückeswagen nur einen einzigen A. B., der als Kellner im Café »Donaublick« beschäftigt ist, dann reichen diese Angaben zur Individualisierung des Opfers ohne weiteres aus. Erst recht gilt das natürlich dann, wenn zusätzlich zum Beitrag ein (häufig kompromittierendes) Foto wiedergegeben wird, bei dem lediglich die Augenpartie durch einen »Schambalken« knapp abgedeckt wird. Eine Persönlichkeitsrechtsverletzung liegt aus juristischer Sicht immer dann vor, wenn auf Grund eines Beitrags oder einer Abbildung in irgendeiner Weise Rückschlüsse auf eine bestimmte Person möglich sind. Maßgebliches Kriterium ist die Erkennbarkeit. So hat es die Rechtsprechung sogar für ausreichend gehalten, dass ein Bundesligatorwart, der von hinten im Trikot seines Vereins dargestellt wird, weil jeder Kenner der Szene weiß, um wen es sich handelt. Ausreichend soll es sogar sein, wenn zwar das Gesicht des Abgebildeten nicht erkennbar, auf dem Bild aber die Schwester klar erkennbar abgebildet ist und es daher für Bekannte naheliegt, dass es sich bei der Person um ihren Bruder handelt. Bei den meisten Beiträgen auf Pranger-Seiten im Internet ist eine Identifizierung jedenfalls durch persönliche Bekannte des Betroffenen ohne weiteres möglich - und natürlich auch gewollt. Wäre es anders, machte die Wiedergabe des Beitrags ja auch gar keinen Sinn.

Wenn bei dem verletzenden Beitrag zusätzlich ein Foto des Opfers wiedergegeben wird, kommen im übrigen zu Ansprüchen aus unerlaubter Handlung nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch solche aus dem Kunsturheberrechtsgesetz hinzu. Hiernach ist die Abbildung von Fotos einer Person ohne deren Einwilligung fast immer unzulässig. Auch die Berufung auf Meinungs- und Pressefreiheit hilft dem Betreiber der Site natürlich nicht. Zum einen kann sich nicht jeder, der eine Website im Internet betreibt, auf "Pressefreiheit" berufen. Zum anderen finden die aus den grundsätzlich geschützten Positionen herleitbaren Rechte ihre Schranke dort, wo Persönlichkeitsrechte Betroffener verletzt werden. Auch Zeitungsverleger achten deshalb sehr genau darauf, ob die in der Zeitung abgebildeten Personen ihr Einverständnis mit einer Abbildung des Fotos erklärt haben. Ausnahmen gelten dort, wo der Abgebildete eine Person der Zeitgeschichte oder nur Teil einer Personenmenge ist.

Falls die Bilder den Abgebildeten in einer Weise zeigen, die geeignete ist, die Intim- oder Privatsphäre zu verletzen, ist sogar schon das Herstellen der Fotos - also nicht erst die Veröffentlichung oder sonstige Verbreitung - ohne Einwilligung zulässig. Niemand muss es sich gefallen lassen, das er nackt oder auch nur heimlich fotografiert wird.

Wer sich im Internet auf einer Pranger-Seite wiedererkennt, kann sowohl vom Betreiber der Website als auch vom - meist allerdings namentlich nicht bekannten - Autor des Beitrags Unterlassung verlangen. Zudem haften sowohl der Domain-Inhaber als auch der Webhosting-Betreiber, von dem Zeitpunkt an, an dem sie Kenntnis von dem Angebot erhalten. Mit dem bloßen Löschen der angegriffenen Texte muss sich der Betroffene dabei nicht begnügen. Er hat Anspruch darauf, dass die für die angegriffenen Inhalte Verantwortlichen eine sogenannte »strafbewehrte Unterlassungserklärung« abgeben. Sie verpflichten sich darin, den Beitrag nie wieder zu veröffentlichen und eine Strafe - typischerweise in Höhe von 5.000,00 DM bis 10.100,00 DM - zu zahlen, falls es doch noch einmal geschieht. Wer diese strafbewehrte Erklärung nicht abgeben möchte, riskiert den Erlass einer gerichtlichen einstweiligen Verfügung.

Wer andere beleidigt oder verleumdet, begeht damit natürlich auch einen Verstoß gegen strafrechtliche Vorschriften. Betroffene können deshalb immer auch Strafanzeige bei Polizei oder Staatsanwaltschaft erstatten. Das hat den besonderen Charme, dass eine Strafanzeige - anders als eine anwaltliche Abmahnung - keine Kosten auslöst und zudem die Staatsanwaltschaft durch Beschlagnahmung und Durchsuchung beim Betreiber unter Umständen ermitteln kann, wer den angegriffenen Beitrag verfasst hat.

Wem durch eine Persönlichkeitsrechtsverletzung ein messbarer materieller Schaden entstanden ist, etwa dadurch, dass er seinen Arbeitsplatz verloren hat, kann diesen Schaden gerichtlich einklagen. Das gilt schließlich auch für ein angemessenes Schmerzensgeld, wobei die Gerichte bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen, insbesondere im Zusammenhang mit der Veröffentlichung von Fotos, in Deutschland Ersatzansprüche zwischen 5.000,00 DM und 20.000,00 DM zu sprechen.

In diesem Zusammenhang soll natürlich nicht verschwiegen werden, dass die erfolgreiche Geltendmachung von Unterlassungs- und Schadensersatzansprüchen voraussetzt, dass der Pranger-Betreiber bekannt und unter einer deutschen Adresse zu erreichen ist. Die Rechtsverfolgung im Ausland verursacht Kosten, die so hoch sind, dass eine Geltendmachung von Ansprüchen regelmäßig unwirtschaftlich erscheint. Auch hier kann aber eine Strafanzeige Wunder wirken, da die Ermittlungsbehörden, wenn sie denn hinreichend motiviert sind, über viel bessere Möglichkeiten verfügen, als der Betroffene selbst. Unabhängig hiervon bleibt natürlich zu hoffen, dass auch die Betreiber solcher »Pranger-Seiten« endlich merken, dass den betroffenen Opfern in vielen Fällen völlig ungerechtfertigt Leid zugefügt wird. Eine Überprüfung der eingereichten Beiträge auf ihren Wahrheitsgehalt hin findet nämlich fast nie statt. Wer als Betroffener die Löschung eines Beitrags verlangt, erntet dafür häufig auch noch Spott und Häme. Die Betreiber solcher Sites sind nicht gemeinnützige »Robin Hoods« sondern zielen allein auf hohe Besucherzahlen und damit lukrative Werbeeinnahmen ab.

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